Projektidee
Das Lehrprojekt „Multi Channel Inverted Classroom“ (MCIC) möchte sowohl dem allgemeinen Motivationsdefizit als auch dem besonders bezüglich der rechtswissenschaftlichen Fächer anzutreffenden Methodendefizit (zunächst) in der Zielgruppe der Studierenden der Wirtschaftswissenschaften Abhilfe schaffen. Vorgestellt wird ein modernes Gesamtlehrkonzept, das sich durch den Einsatz verschiedener Lernmedien für unterschiedliche Aufnahmekanäle, hohe Innovationskraft, großen Mehrwert für die Studierenden, problemlose Integrierbarkeit in das universitäre Curriculum und besondere Nachhaltigkeit auszeichnet.
Beschreibung der Ausgangssituation
Nach den bisherigen universitären Lehrerfahrungen des Projektleiters und seiner Kollegen ist bei den Studierenden – von nicht repräsentativen Ausnahmen abgesehen – im Allgemeinen ein signifikantes Defizit an Lernmotivation festzustellen. Gerade die intrinsische, also von äußeren Anreizen unabhängige, (kontinuierliche) Lernmotivation ist üblicherweise in der Beobachtungsgruppe gering ausgeprägt. In der Konsequenz fällt es den Lehrenden durchgängig schwer, die Studierenden zu kontinuierlichem und nachhaltigem Lernen anzuregen, obgleich dies in deren eigenem Interesse an einem zügigen und fundierten Studienfortschritt wünschenswert wäre.
Über diese generelle Problemstellung hinaus sind im Besonderen die Studierenden der Wirtschaftswissenschaften, für welche die rechtswissenschaftlichen Fächer (wie etwa auch die Mathematik) Grundlagen- bzw. Ergänzungsfächer darstellen, mit zwei weiteren Herausforderungen konfrontiert. So ist bei den Studierenden zum einen ein erhebliches Defizit im Umgang mit der juristischen Methodik (Auslegungskanon, Argumentationsmuster, Rechtsanwendungstechnik) zu beobachten, zum anderen zeigt sich, dass die Studierenden erhebliche Schwierigkeiten haben, das in konventionellen Lehrveranstaltungen theoretisch vermittelte Wissen in der Arbeit mit juristischen Fällen, wie sie in der juristischen Prüfungssituation und der beruflichen Arbeit beinahe ausnahmslos auftreten, korrekt anzuwenden. Dieser Zustand ist vor allem deshalb besonders unbefriedigend, weil die Studierenden der Wirtschaftswissenschaften eine besonders große Gruppe darstellen – allein der Lehrstuhl, dem der Projektleiter angehört, betreut jedes Semester eine vierstellige Zahl an Bachelor- und Masterstudierenden – und eine solide Rechtsanwendungskompetenz in nahezu jedem wirtschaftswissenschaftlichen Beruf zwingend erforderlich ist.
Zielsetzung des Projekts
Das hier vorgestellte Lehrprojekt des ,,Multi Channel Inverted Classroom“ (MCIC) möchte sowohl dem fächerunabhängigen Motivationsdefizit als auch dem fachspezifischen Methoden- sowie Anwendungsdefizit in der Zielgruppe der Studierenden der Wirtschaftswissenschaften Abhilfe schaffen.
Das Prinzip des inverted classroom ist eine Unterrichtsmethode, nach welcher die Phasen der Stoffvermittlung und Stoffanwendung insoweit vertauscht sind, als die Stoffvermittlung nicht in den Lehrveranstaltungen, sondern im Selbststudium stattfindet, und der Lehrstoff (prinzipiell) nicht im Selbststudium, sondern in den Lehrveranstaltungen angewendet und eingeübt wird. Die positiven Effekte des Lernens nach dem Prinzip des inverted classroom auf den Lernerfolg und die Lernmotivation sind bereits in mehreren wissenschaftlichen Untersuchungen nachgewiesen worden.
Das hier vorgestellte Lehrprojekt zeichnet sich über die allgemeinen Merkmale eines inverted classroom hinaus dadurch aus, dass mittels Einsatz verschiedener Lernmedien in verschiedenen (lernpsychologisch unterscheidbaren) Lernphasen (Inputphase, Verknüpfungsphase, Vertiefungsphase, Wiederholungsphase) unterschiedliche Aufnahmekanäle der Lernenden angesprochen werden -daher Multi Channel Inverted Classroom. So dient die Erstellung kleinerer, abstrakter (textueller, visueller und auditiver) Lerneinheiten (sog. learning nuggets) dem Input, also der selbständigen erstmaligen (theoretischen) Erarbeitung des Lernstoffes durch die Studierenden. Das abstrakt Erlernte wird sodann in der Vorlesung dadurch mit Methoden der juristischen Falllösungstechnik verknüpft, dass eigens konzipierte Besprechungsfälle, angelehnt an aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung, durch die Studierenden in Kleingruppen gemeinschaftlich und aktiv (kinästhetisch) gelöst werden. Der Projektleiter und sein Team fungieren hierbei als Tutoren, die bei der sachgerechten Lösung der Rechtsfälle unterstützen.
Eine besondere Form der gemeinschaftlichen Falllösung stellen die sog. Einsendearbeiten dar. Über das Semester verteilt werden den Studierenden fünf größere und anspruchsvolle Fälle zur Verfügung gestellt, die diese in Kleingruppen nicht nur selbständig lösen, sondern überdies binnen einer vorgegebenen Bearbeitungsfrist zur Bewertung einsenden. Nach Ablauf der Abgabefrist erhalten die Studierenden sodann eine Bewertung ihrer Bearbeitung mit individuellem Feedback sowie einer Musterlösung. Dies dient der (kinästhetischen bzw. kommunikativen) Vertiefung der erworbenen Kenntnisse sowie ihrer Übertragung auf bislang unbekannte Themengebiete. Ein besonderer Anreiz zur Bearbeitung der Einsendearbeiten kann über einen Abschlag auf die Note der Semesterabschlussprüfung geschaffen werden.
Zur Wiederholung und weiteren Vertiefung des Stoffes wird den Studierenden eine speziell auf die Vorlesung abgestimmte Lern-App für mobile Endgeräte zur Verfügung gestellt, welche der Projektleiter mit seinem Team im Rahmen eines QuiS-Projektes entwickelt und bereits erfolgreich in der Großvorlesung ,,Grundzüge des Gesellschaftsrechts“ (> 300 Studierende) im SoSe 2020 eingesetzt hat. Die Lern-App (,,Neuroo Jura“) ist in den App-Stores von Google und Apple verfügbar, hat bereits mehrere Updates und Weiterentwicklungen erfahren und wird von den Studierenden rege und kontinuierlich genutzt. Die App ist als digitaler Lernbegleiter konzipiert, der einerseits zum Aufrechterhalten einer kontinuierlichen Lernmotivation der Studierenden durch das Anzeigen individueller Lerntipps und die Möglichkeit direkter Kommunikation mit den Lehrenden beitragen soll und andererseits inhaltliche (visuelle, textuelle und kinästhetische) Aufgaben zu den Vorlesungsinhalten auf fachlich hohem Niveau nach dem Prinzip der sog. Gamification bereitstellt.
Das Lehrprojekt des MCIC zeichnet sich durch eine besonders hohe Innovationskraft aus, indem es die Prinzipien des inverted classroom mit den Möglichkeiten der Digitalisierung verbindet und damit nicht nur einer modernen hochschuldidaktischen Konzeption folgt, sondern überdies neue, endgerätebasierte Lehrformate einführt, die auf die Inhalte der universitären Lehrveranstaltungen abgestimmt und mit diesen verzahnt sind. Gerade in Bezug auf den letztgenannten Aspekt weist das hier vorgestellte Lehrprojekt damit – soweit für den Projektleiter ersichtlich – ein Alleinstellungsmerkmal auf. Der besondere Mehrwert für die Studierenden liegt mit Blick auf die Hochwertigkeit und Modernität der zur Verfügung gestellten Inhalte einerseits in einer qualitativen Verbesserung der Lehre, andererseits in einer signifikanten Erhöhung der Studierfähigkeit rechtswissenschaftlicher Fächer für Studierende der Wirtschaftswissenschaften durch den Abbau methodischer und fachlicher Defizite. Die Erhöhung der Studierfähigkeit kommt in besonderem Umfang auch Studienanfängern zugute, die erfahrungsgemäß in gesteigertem Maße mit der eingangs beschriebenen Ausgangssituation konfrontiert sind. Die Integration des Lehrprojekts in vorhandene universitäre Strukturen ist sichergestellt. Ferner ermöglicht das Lehrprojekt eine curriculare Weiterentwicklung in den Masterstudiengängen FACT und Management, indem das dort verfügbare juristische Lehrangebot durch neu konzipierte Lehrveranstaltungen auf der Grundlage des MCIC (im WS 2020/21 zunächst: „Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft“) ergänzt wird.